Mit Wagner vor Gericht
Was hat er verbrochen? Für holprige Stabreime ist noch keiner eingesperrt worden. Auch Bayreuther Erbstreitigkeiten scheiden aus: Die werden in den Medien verhandelt. Warum also muss Richard Wagner vor Gericht?
Er muss ja gar nicht. Er darf. Denn dass das Foyer in Deutschlands schönstem Justizgebäude für eine konzertante Opernaufführung dient, ist absolut einmalig. Richter, die über Themen wie den Ausbau des Leipziger Flughafens entscheiden, wollen in ihrer Urteilsfindung üblicherweise nicht von „Johohoe!“ oder „Huissa!“ gestört werden. Deswegen hatte der Verein „Kunst und Justiz“ zunächst beim Gerichtspräsidenten eine Ausnahmegenehmigung zu erwirken.
Konzerte im holzverkleideten Großen Sitzungssaal in der ersten Etage sind hingegen keine Seltenheit. „Mittlerweile brauchen wir fast keine Werbung mehr zu machen. Die Leute fragen schon Wochen vorher nach“, erzählt der Vereinsvorsitzende, Bundesrichter Hartmut Albers (62). Dabei bestehe die Mischung sowohl in Publikum wie Verein aus jeweils drei Gruppen. 1. Richter, andere Hausangestellte und deren Bekannte. 2. Anwälte und Notare. 3. Schließlich musikinteressierte Bürger. „Das ist ja auch unsere Absicht: Wir möchten das Gebäude für die Öffentlichkeit zugänglich machen, Hemmschwellen abbauen.“
Anlässlich des Richard Wagner Kongresses soll es jetzt mal eine Nummer größer sein. „Die Idee, die Urfassung des ,Fliegenden Holländers‘ hier aufzuführen, stammt von David Timm, Uni-Musikdirektor. Der war als Cembalist im Leipziger Barockorchester schon beim allerersten Konzert im Jahr 2003 dabei“, erläutert Albers, während er gemeinsam mit seinem Kollegen und Stellvertreter Georg Herbert (58) demonstriert, in welchem Bereich der großzügigen Wandelhalle die 377-Plätze-Bestuhlung entsteht. Oben auf den Balustraden sollen in Stereo die Seefahrer aus Unichor und Leipziger Vokalensemble singen. Der Steinboden braucht noch einen überdimensionalen Belag, damit man nicht mit den Gesetzen der Akustik in Konflikt kommt.
Außerdem muss für das Mendelssohn-Orchester eine 7 mal 12 Meter große Bühne her. Die kommt direkt unter das nördliche Bleiglasfenster, das, an den beiden Abenden von außen angestrahlt, als stimmungsvolles Bühnenbild fungiert. „Die versteckten Anker und Seefahrtsmotive passen ja gut zum Sujet der Oper.“ Herbert erteilt sogar das Prädikat „Gesamtkunstwerk“. Schließlich werde weithin sichtbar auch der Portikus in ganz neuem Licht erscheinen.
Der Konzertbesuch ist also sicher keine Strafe. Und die erwarteten Kongressbesucher, Studenten, Richter, Anwälte und Bürger werden nicht zum Kommen verurteilt werden müssen. Man trifft sich ausnahmsweise mal ganz unverbindlich – mit „Wagner vor Gericht“.
Tobias Wolff
© Leipziger Volkszeitung, Montag, 2. Mai 2005